Tiefenmuskulatur – alles, was man darüber wissen sollte

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Über den Begriff „Tiefenmuskeln“ ist jeder Fitness- und Sportinteressierte bestimmt schon einmal gestolpert. Doch was genau unterscheidet diese tief liegenden Muskeln von anderen? Welche Muskelgruppen gehören überhaupt dazu und wie beeinflussen sie die (sportliche) Leistungsfähigkeit?

Neben der Beantwortung dieser Fragen finden Sie hier wertvolle Praxistipps für das Training bzw. die gezielte Ansteuerung der Tiefenmuskulatur.

Tiefenmuskeln, ihre Anatomie und Funktionen

Unsere Rumpfmuskulatur lässt sich in tief und oberflächlich gelegene Muskeln unterscheiden, also in Stabilisatoren und Mobilisatoren, die wie ihre Namen bereits verraten auch unterschiedliche Funktionen erfüllen. Generell gilt, dass je dichter ein Muskel am Körperzentrum bzw. der Wirbelsäule liegt, desto mehr hat er stabilisierende und stützende Aufgaben. Und je oberflächlicher ein Muskel liegt, desto wichtiger ist er für Bewegungen. Tiefenmuskeln sind also für die Stabilisation des Körperzentrums verantwortlich.

Früher war man der Überzeugung, dass die Tiefenmuskeln nicht bewusst angesteuert werden können, doch spätestens seit dem Aufkommen von Pilates Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich dieses Bild geändert. Dennoch können die Stabilisatoren nicht so „einfach“ trainiert werden wie die oberflächlich gelegenen Muskeln, die Bewegungen ausführen wie beim Bizeps-Curl oder Seitheben. Tiefenmuskeln bewegen nämlich primär nichts und somit sind auch beim Training keine Bewegungen ersichtlich. Man muss also wissen, um welche Muskeln es sich handelt, wo sie liegen und ihre Ansteuerung bewusst trainieren. Zu den Tiefenmuskeln zählen drei Muskeln bzw. Muskelgruppen.

Musculus Multifidus

Die tiefen Rückenmuskeln werden als Musculi Multifidi bezeichnet und bestehen aus vielen kleinen Muskeln, die sich entlang der Wirbelkörper vom Kreuzbein bis zum Kopf ziehen und immer zwei bis zu fünf Wirbeln überspringen. Sie stabilisieren die Wirbelsäule und unterstützen auch bei der Rotation, Lateralflexion (also Seitneige) und Extension (Streckung) der Wirbelsäule. Die M. Multifidi sind also als einzige der Tiefenmuskeln auch an Bewegungen beteiligt, was aber nicht ihre Hauptfunktion darstellt. Sie unterstützen vor allem die natürliche S-Form der Wirbelsäule. Durch ihre Ansteuerung bzw. Aktivierung können die Wirbel entlastet werden, da sich der Abstand zwischen den Wirbelkörpern vergrößert.

 

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Musculus Transversus Abdominis

Der nächste Tiefenmuskel ist der sogenannte Musculus Transversus Abdominis und liegt am tiefsten der insgesamt vier Bauchmuskelschichten und zieht sich vom Rücken kommend wie ein breites Band um die Taille bis nach vorn zur Körpermitte, der sogenannten Linea Alba. Dabei berühren seine Fasern sowohl die untersten Rippen als auch das Becken. Dieser Muskel formt die Taille und ist bei der Bauchpresse aktiv, da er Spannung im gesamten Rumpf aufbaut, die Kraftsportler z.B. auch bei der Pressatmung zum Stemmen hoher Gewichte einsetzen. Einige Sportler nutzen für Übungen wie Kreuzheben auch Bauchgurte, um noch mehr Spannung im Bauchraum aufzubauen und die Wirbelsäule zu schützen – Aufgaben, die Tiefenmuskeln normalerweise übernehmen. Wird der M. Transversus Abdominis aktiviert und angespannt, entsteht ein Gefühl, als ob sich ein Korsett um die Taille enger schnürt. Der Bauchnabel wandert Richtung Wirbelsäule und die Bauchdecke wird flacher.

 

Beckenbodenmuskulatur

Auch der Beckenboden gehört zur Tiefenmuskulatur und wird von vielen Sportlern stiefmütterlich behandelt bzw. sogar völlig ausgeblendet, da er eher mit Geburtsvorbereitung, Rückbildungsgymnastik oder Inkontinenz in Verbindung gebracht wird – kein gutes Image. Trainiert man den Beckenboden jedoch regelmäßig, können nicht nur viele Probleme wie Rückenschmerzen vermieden, sondern auch die Körperhaltung verbessert und dem gesamten Core mehr Kraft verliehen werden. Der Beckenboden ist eng mit der Wirbelsäule und somit der Körperhaltung verbunden. Er besteht aus drei Muskelschichten, die als Einheit fungieren. Die unterste Schicht ist als Schließmuskulatur die uns bekannteste und kommt bei jedem Toilettengang zum Einsatz. Die mittlere Schicht verbindet die Sitzbeinhöcker und hält das Becken zusammen. Diese Muskelschicht vollbringt bei einer Schwangerschaft eine wahre Meisterleistung, denn sie trägt monatelang das Gewicht des Babys und dehnt sich zur Geburt schließlich weit auf. Deshalb ist die mittlere Beckenbodenschicht bei Frauen auch nur halb so stark ausgebildet ist wie bei Männern, da sie die enorme Dehnfähigkeit zur Geburt ansonsten nicht aufweisen könnte. Die innerste Schicht liegt wie eine Schale im Beckenring, stützt die Unterleibsorgane und steht mit der Rumpfmuskulatur in Verbindung, weshalb ihr eine große Rolle für unsere Körperhaltung zukommt (vgl. Lang-Reeves & Villinger, 2015: 14-16). Das Kreuzbein befindet sich am unteren Ende der Wirbelsäule, das durch Bänder ins Becken eingefügt ist. Somit stehen die Wirbelsäule und die Körperhaltung unmittelbar in Verbindung mit der Beckenstellung. Bei natürlichem S-Kurvenverlauf der Wirbelsäule müsste das Becken als knöcherner Ring aufrecht stehen und Wirbelsäule und Oberschenkel optimal verbinden. Häufig ist das Becken jedoch gekippt, sodass es zu Fehlhaltungen wie einem Hohlkreuz kommen kann.

 

Die Besonderheit dieser drei Tiefenmuskeln bzw. -muskelgruppen ist nun, dass wenn der Beckenboden aktiviert wird, auch der M. Transversus Abdominis sowie die M. Multifidi innerviert sind. Die Tiefenmuskulatur arbeitet also stets zusammen und erfüllt als Synergisten-Team die Aufgabe der Körpermittestabilisierung. „Im Falle des Rumpfs kann man von einer inneren Einheit der Körperkernkontrolle, einem Kraftzylinder, sprechen“ (Rahn & Lutz, 2017: 32).

Moderne Probleme

Wie bereits erwähnt, führen die Tiefenmuskeln keine Bewegungen aus, sondern dienen als zentrale Stabilisatoren. Sie können also auch nicht direkt durch große Bewegungen wie beim Kraftsport die oberflächlichen Muskeln trainiert werden. Früher vor hunderten von Jahren war ein gezieltes Training der Stabilisatoren gar nicht nötig, denn sie arbeiten und kontrahieren immer, wenn es wackelig wird. Damals sind wir Menschen barfuß auf Waldboden gelaufen, haben balanciert, sind geklettert und haben große Dinge auf den Schultern getragen. Heute besteht der Alltag der meisten Erwachsenen aus Laufen in Schuhen über Asphalt, viel Sitzen und einer gelegentlichen Sporteinheit für die Oberflächenmuskulatur, die Mobilisatoren. Die Tiefenmuskeln sind also chronisch unterfordert und verkümmern durch mangelnde Reize, sodass sie ihre Haltefunktion nicht mehr erfüllen können. Gerade bei chronischen Rückenschmerzen zeigt sich, dass die M. Mulitifidi nicht mehr richtig arbeiten. Dr. N. Zolyniak von der Orthopädischen Klinik des Uniklinikums München sagt, dass die Stärkung der stabilisierenden Rumpfmuskeln zur Vorbeugung von Rückenschmerzen sinnvoll sei, für Menschen mit chronischen Rückenbeschwerden sogar unerlässlich (vgl. Droll, 09/2017).

 

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Training der Tiefenmuskeln

Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, die Tiefenmuskeln zu trainieren. Zum einen kann man diese mithilfe bestimmter Kommandos bzw. Bilder bewusst ansteuern, sodass diese kontrahiert werden können. Und zum anderen kann man sie „austricksen“, indem Übungen auf wackeligen Untergründen oder mit einem Wackelstab ausgeführt werden. Einen Wackelstab finden Sie z.B. hier.

Ersteres ist vor allem aus dem Pilates bekannt, denn eine der Pilates-Methoden ist die sogenannte Zentrierung. Diese besagt, dass eine Bewegung stets mit der Aktivierung der proximalen, also kernnahen, tiefen Rumpfmuskeln – dem Powerhouse – eingeleitet wird. Das sogenannte Powerhouse kann man sich wie eine innerliche Box vorstellen, die an der Rückseite von den tiefen Rückenmuskeln, unten vom Beckenboden, oben vom Zwerchfell und vorne und an den Seiten vom M. Transversus Abdominis begrenzt wird. Geübte Pilates-Fans können das Powerhouse auf Anhieb aktivieren. Das gelingt durch kontinuierliches Üben und bewusste Wahrnehmung der Tiefenmuskeln. Unter folgendem Link erfahren Sie mehr über Pilates: Blog-Beitrag zu Pilates.

Zum Mitmachen

Im Folgenden werden Übungen zur Ansteuerung vorgestellt, die gleich mitgemacht werden können:

  • Aktivierung des M. Transversus Abdominis:

Stell dich mit leicht gebeugten Knien und hüftbreit geöffneten Füßen hin. Stell dir vor, du hättest einen breiten Gürtel um die Taille gelegt, den du jetzt ganz eng bis ins zehnte Loch zuschnürst. Halte den Gürtel für einen Moment im zehnten Loch und spüre, wie deine Taille schmaler wird und sich der Bauchnabel Richtung Wirbelsäule zieht. Atme nun ein und öffne den Gürtel wieder langsam. Diese Übung mindestens fünfmal wiederholen, besser zehnmal.

  • Aktivierung der M. Multifidi:

Stell dich wieder in Ausgangsposition mit leicht gebeugten Knien und hüftbreit geöffneten Füßen. Stell dir nun vor, dass sich an deinem Hinterkopf (nicht an der Stirn!) ein Faden befindet, der dich sanft nach oben zieht. Spüre, wie du ein Stück wächst und deine Wirbelsäule länger wird. Atme nun aus und lass wieder locker. Diese Übung mindestens fünfmal wiederholen, besser zehnmal.

  • Aktivierung des Beckenbodens:

Stell dich in Ausgangsposition hin und lege deine beiden Daumen an den Bauchnabel und positioniere die Mittelfinger auf dem Schambein, sodass du mit den Händen eine Raute bildest. Stelle dir nun vor, dass in deinem Becken zwei Fäden als Kreuz gespannt sind. Greife imaginär nach der Kreuzmitte und ziehe die Fäden daran innerlich nach oben Richtung Zwerchfell. Zusätzlich spannst du alle Schließmuskeln an. Du müsstest jetzt spüren, dass ich der Abstand zwischen deinen Daumen und Mittelfingern, also zwischen Bauchnabel und Schambein verringert hat. Lasse die Fäden wieder los. Diese Übung mindestens fünfmal wiederholen, besser zehnmal.

All diese Metaphern und Übungen kenne ich aus meiner Praxis als Pilatestrainerin, die gerade für Einsteiger sehr wichtig sind, um diese Tiefenmuskeln überhaupt kennenzulernen und zu spüren. Für Fortgeschrittene sind diese Basics nicht mehr erforderlich, da eine willentliche Ansteuerung gelernt werden kann und mit dem Kommando „Powerhouse aktivieren“ erfolgt.

Balance-Übungen

Die zweite Möglichkeit des Trainings der Tiefenmuskeln stellen wie bereits erwähnt Balanceübungen dar, die im Reha- und Rückensport, aber auch im Bereich des Functional Trainings verbreitet sind. Es eignen sich Übungen auf jeder Form von wackeligen Untergründen. Denkbar ist alles vom  Balancepad bis hin zu anspruchsvollen Slacklines. Auch Übungen im Einbeinstand fordern die Tiefenmuskeln sowie Übungen am Schlingentrainer, auf dem Trampolin oder mit dem Pezziball – Hauptsache es wackelt.

Hier finden Sie nähere Informationen zum Thema Wackelpad: Hier geht´s zum Wackelpad-Blogbeitrag.

Zusammenfassung

Halten wir fest, dass die Tiefenmuskeln ganz wichtige Aufgaben im menschlichen Körper erfüllen, nämlich der Körpermitte Halt, Form und Stabilität geben. Sie sorgen für eine aufrechte Körperhaltung und mehr Körperspannung. Durch gezieltes Training kann außerdem Verschleißerkrankungen der Wirbelsäule entgegengewirkt werden. Tiefenmuskeln haben also eine entscheidende Schlüsselfunktion, da sie den Körper innerlich aufrichten und jede körperliche Arbeit effektiv unterstützen können (vgl. Lang-Reeves & Villinger, 2015: 9).

 

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Quellen:

Bimbi-Dresp., M. (2016). Das große Pilates-Buch. Die Original-Übungen für alle Könnensstufen. Gräfe und Unzer.

Droll, S. (2017). In: Apothekenumschau 09/17. S. 13-18.

Lang-Reeves, I. & Villinger, T. (2015). Beckenboden-Training. Gräfe und Unzer.

Rahn, S. & Lutz, C. (2017). Pilates. Das komplette Trainingsbuch. Meyer und Meyer.

Weineck, J. (2008). Sportanatomie. 18. Auflage. Spitta.

 

Foto- und Bildquellen:

(1) Photo by Inger Diederich

(2) Photy by Thomas Kafurke

(3) Photo by Inger Diederich

 

 

 

 

 

 

 

 

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